Intro

Herzlich Willkommen auf unserem christrunners.ch Blog! Dies hat nichts mit Religion zu tun ist einfach unser Familien-Name. Wir sind eine sportliche Familie, nehmen an verschiedensten Wettkämpfen teil. Unsere Resultate sind auf Datasport zu finden.

Samstag, 9. Juni 2012

Die Nacht der Nächte - oder wie sammelt man Grenzerfahrungen

Seit Januar trainierte ich nur auf ein Ziel hin - am 100er in Biel teilzunehmen. Bis Mitte April ging alles super nach Plan und von da an gabs immer wieder Probleme. Zum Anfang fing mein Fersensporn ganz heftig an sich zu melden, dadurch habe ich wohl unbewusst falsch belastet und bekam Probleme am anderen Fuss am Fussballen. Nach langen Abklärungen und MRI stellte man eine Entzündung einer Sehne fest welche in den Grosszeh läuft. Ebenfalls hat mich eine starke Grippe 2 Wochen völlig flach gelegt. Meine Trainings absolvierte ich nur noch auf dem Rennrad und ich war jeden Tag in der Physio um meine Sorgenkinder mit Laserbehandlungen zu behandeln. Kann ich, soll ich oder doch lieber nicht.....diese Fragen begleiteten mich die letzten Wochen fast Tag und Nacht. Ich wollte doch unbedingt.....nachdem mein Fuss im normalen Alltag nicht schmerzte, entschloss ich mich nach Rücksprache mit dem Arzt in Biel zu starten, mit der Option bei Schmerzen auszusteigen.

Noch ein paar Meter dann sind 100km geschafft (11Std38). WELL DONE !!!!

Endlich war es soweit. Alisha und Rainer würden mich durch die Nacht begleiten. Wir hatten entschieden, auf eine Fahrradbegleitung zu verzichten, da die Verpflegung am Bieler beinahe perfekt ist. So haben die Beiden sich im Auto "gemütlich" eingerichtet. Ziemlich früh sind wir zu Hause losgefahren und waren vor 16.00Uhr schon in Biel. Jetzt mussten wir uns noch gut 6 Stunden die Zeit vertreiben bis zum Start. Nach Oeffnung der Startnummernausgabe habe ich meine Startnummer abgeholt und danach sind wir ein wenig durch die Bieler Innerstadt geschlendert. Beim McDonalds haben meine Begleiter Hunger bekundet und so haben die Zwei sich einen Burger und Pommes gegönnt und ich bin ganz brav beim Kaffee geblieben - ähmmm ein Stück Marmorkuchen gabs noch dazu..... :-). Danach sind wir zurück zum Start-/Ziel-Gelände und ich habe in der Festwirtschaft meine "Henkersmahlzeit" genossen. Einen Teller feiner Penne mit Tomatensauce, die waren sehr lecker aber wohl auch etwas mitverantwortlich für meine späteren Verdauungsprobleme... 

An diesem Abend gabs in Biel ein Inline-Rennen und wir haben uns noch die Jüngsten angesehen, schon wahnsinn mit was für Tempo die durch die Strassen flitzen. Dann habe ich mich langsam Richtung Garderobe bewegt um mich umzuziehen. Da sass ich nun und wusste nicht kurze Hose oder doch 3/4.....einige Mitläuferinnen haben mich dann zu den kurzen animiert und ich muss sagen es war die richtige Entscheidung. Nachdem ich alles bei mir hatte was ich brauchen würde, bin ich wieder ins Festzelt, dort haben sich in der Zwischenzeit Wendy, Matthias, Gabriele, Kees und Frank eingefunden und auch Rainer und Alisha waren dort. Wir haben noch eine Weile gemütlich geplaudert und Fotos gemacht und dann gings dann langsam in den Startbereich. Nochmals kurz aufs Klo und dann habe ich auch noch Ricarda in der Menschenmenge entdeckt, grosses Hallo und Foto und Ricarda ist dann weiter nach vorne...!

Endlich der Startschuss und ich war unterwegs auf "meinen" 100 Kilometern!!!! Was für ein Gefühl, soviele Menschen standen in Biel am Strassenrand und wünschten uns Glück. Auch Rainer und Alisha standen an der Strecke und es war toll zu wissen, dass sie die ganze Nacht irgendwo für mich unterwegs waren. 
So langsam gings aus Biel raus und es waren immer weniger Zuschauer am Strassenrand und für uns Läufer gings in die Dunkelheit. Ich fühlte mich toll, mein grosser Traum ist wahr geworden, ich war in Biel unterwegs... Die Zeit und die Kilometer flogen nur so dahin und schon war ich in Aarberg - wow was für eine tolle Stimmung hier!!! Viele jubelnde Menschen, darunter auch Miggu und Gabi von der LG Niederbipp, die tolle Brücke und der Einlauf ins Städtchen über den blauen Teppich - phuuu Gänsehaut pur!!! Danach gings weiter Richtung Lyss. Hier war auch wieder tolle Stimmung und in Lyss warteten auch die ganzen Fahrradbegleiter auf ihre Läufer. Weiter gings nach Ammerzwil, kurz nach der Verpflegung bin ich hier auch das erste Mal mit meinen 2 Betreuern zusammengekommen. Ich hab die Beiden schon von weitem gesehen. Kurze Nachfrage nach meinem Befinden, meine Laufbrille abgegeben (ist immer angelaufen), ein Schluck Rivella und wieder auf die Strecke. So langsam hatte ich das Bedürfnis nach einem WC oder Busch....ich hab schon früh gemerkt, dass mit meiner Verdauung etwas nicht stimmte.Wie das so ist mit mir, habe ich keinen passenden Busch zu meiner Kleidung gefunden und bis zum nächsten Verpflegungsposten gewartet. Die Dixi-Klos haben mich von da an die ganze Nacht begleitet und ich hatte immer wieder mal ziemliche Krämpfe im Bauch.

Beim Durchlauf in Grossaffoltern habe ich kurz noch meinen Namen gehört und mir gedacht, dass war bestimmt Christine Lohm (hat sich dann bestätigt). Weiter gings nach Oberramsern, hier war für die Marathonläufer Zieleinlauf. Ich beneidetet die Läufer schon ein wenig, denn für mich warens bis dort noch keine 40km. Ungefähr bei km40 in Mülchi standen wieder Rainer und Alisha, es war immer schön zu wissen, dass sie irgendwo auf der Strecke wieder auf mich warten würden und hat mich jedes Mal für die nächsten Kilometer motiviert. Kurz ausgetauscht wie das Befinden ist und wieder ein Schluck Rivella und weiter gings. Kurz danach war ein Kontrollpunkt, wo die Nummer notiert wurde und ein Stempel auf die Startnummer gedrückt wurde. Jetzt kam eine längere Steigung die ich gehend hoch bin. Oben machten sich zum ersten Mal Wadenkrämpfe bemerkbar, so ein Mist, die Verpflegung war grad vorüber und ohne Getränke kann ich keine Salztabletten nehmen. So habe ich mich bis zur nächsten Verpflegung durchgebissen, dort zuerst auf's Klo und dann Salztabletten und etwas Brot und weiter gings. Meine Oberschenkel machten sich auch immer mehr bemerkbar und aus dem anfänglichen regelmässigen Laufen in gutem Tempo wurde ein Wechsel aus gehen und laufen. Aber die Laufphasen waren hier noch viel länger als die "Gehpausen". Das würde sich im Verlauf der Nacht noch ändern..... Meine Gedanken waren immer mal wieder bei meinen Mitläufern Wendy, Matthias, Gabriele, Ricarda und Christoph. Ich hoffte, dass alle gut unterwegs waren und ihr Ziel erreichen würden.

Langsam gings Richtung Kirchberg, hier war wieder ein grosser Verpflegungsposten und es war ziemlich viel los. Für's Dixi-Klo musste ich sogar anstehen.... Es standen hier auch verlockend viele Busse für den Rücktransport nach Biel.....Aber mir gings ja gut, also Aussteigen war absolut kein Thema. Jetzt lag der berüchtigte Hoh-Chi-Minh-Pfad vor mir. Hier läuft man auf einem schmalen Pfad auf dem Emmendamm, die Radbegleiter müssen diesen Teil der Strecke umfahren. Viele Wurzeln und Steine und die grosse Dunkelheit erschwerten das Laufen. Ich konnte hier jedoch ein gutes Tempo halten und sogar 2 Mal Läufer überholen. Bei km63 war dann die Verpflegung Utzenstorf und hier stand auch wieder Rainer. Alisha lag im Auto und schlief :-). Zu dem Zeitpunkt hatte ich langsam echt zu kämpfen und Rainer sagte mir wie stolz er auf mich wäre und dass ich das gut machen würde. Und ich wagte zum ersten Mal daran zu glauben in Biel einzulaufen. Langsam dämmerte es. Es war wunderschön in den Morgen zu laufen und die Vögel begannen mit ihrem Gezwitscher den neuen Tag zu begrüssen. Für mich war die Dunkelheit toll gewesen zum Laufen aber es war auch schön, nach sovielen Stunden im Dunkel mal wieder etwas die Gegend sehen zu können. Und die Aussicht lenkte mich etwas von meinem schmerzenden Körper ab. Mein Bauch zwang mich hier, nun doch einen passenden Busch zu finden....

Etwa bei km67 stiessen die Begleitfahrzeuge wieder zu uns Läufern und es war lustig zu sehen, wie all die Radfahrer im Wald auf ihre Läufer warteten. Nach km70 kam dann ein ewig langes, gerades Stück auf einer Strasse, die Strecke wollte und wollte nicht aufhören. Bei 73,5km war die Verpflegung Ichertswil, hier bin ich mit einem Läufer, Daniel Kirchhofer, ins Gespräch gekommen, es stellte sich heraus dass er aus unserer alten Heimat kam und so hatten wir etwas Gesprächsstoff. Er hatte auch grosse Probleme mit den Oberschenkeln und konnte überhaupt nicht mehr anlaufen... Nach etwa 2km habe ich mich dann für den Moment verabschiedet und bin wieder in meinem Rhythmus aus Gehen und Laufen dem nächsten Verpflegungsposten  in Bibern entgegen gegangen. Hier stand Eingangs Rita Casella und wartete auf ihre Staffelläuferin, wir haben ein paar Worte gewechselt aber mich rief schon wieder das blaue Dixi-Klo.... Als ich rauskam war Rita weg und dafür stand Eliane Kämpf an der Verpflegung. Auch mit Eliane noch ein paar Worte gewechselt und dann machte ich mich an die letzte grosse Steigung. 


In der Zwischenzeit hat mich Daniel wieder ein- resp. überholt aber den Berg hoch kam ich ihm wieder näher und konnte aufschliessen. Bei ihm ging mit den Oberschenkeln gar nichts mehr und er würde die restlichen Kilometer bis Biel gehend zurücklegen. Für mich lag doch noch etwas drin und so versuchte ich die anschliessende Bergabpassage laufend zurückzulegen. Bei so einer Strecke wäre ja normalerweise ein gutes Tempo möglich aber beim Bieler ist nichts normal. Mit Schneckentempo den Berg runter und das hat so weh getan in den Oberschenkeln..... Kurz nach dem Verpflegungsposten in Arch bei km81 standen dann wieder Alisha und Rainer. Sie haben mich nochmals motiviert und bis Biel würde ich sie jetzt nicht mehr sehen.....diese Vorstellung.....wenn wir uns das nächste Mal sehen bin ich Finisherin in Biel beim 100er....!!!

In der Zwischenzeit hatte ich auch meine längste je am Stück gelaufene Kilometeranzahl überschritten (bis jetzt 79km in Davos) und so fühlte ich mich auch!! Zu allem Uebel machte sich auch noch irgendwas an meiner zweiten Zehe am rechten Fuss bemerkbar, wahrscheinlich wuchs dort in aller Stille eine Blase...! Egal, jetzt spielte das auch keine grosse Rolle mehr, keine 20km trennten mich von Biel und egal wie, ich würde finishen. Ich begann zu rechnen was für eine Zeit drinliegen würde und habe dann gemerkt, dass ich es auch mit meinem Mix aus gehen und laufen unter 12 Stunden schaffen kann. Das hat mich sehr motiviert und ich habe mich auch mit der Vorstellung vom Zieleinlauf immer wieder für ein paar Meter ins Laufen befördert. Ich habe mir irgendwelche Markierungen ausgesucht und mir gesagt, von da bis dort läufst Du jetzt, danach wieder kurz gehen und dasselbe Spiel. So habe ich mich immer näher an Biel herangearbeitet :-). Ich wurde jetzt doch von ein paar Läufern/innen überholt, konnte aber zwischendurch auch mal wieder jemanden überholen aber eigentlich war das völlig egal, ich sah nur noch dass ich finishen würde und wenn alles gut ging sogar noch unter 12 Stunden!!! 

Schon hier wurde ich von meinen Gefühlen fast überrollt. Noch vor ein paar Wochen wusste ich nicht, ob ich  überhaupt starten konnte und jetzt war ich kurz vor meinem ersten Finish in Biel!! Die letzten 10km meldete sich dann doch noch mein Fussballen resp. die Sehne und es wurde jetzt sehr schwer meinen Körper zwischendurch für ein paar Meter zum Laufen zu bewegen. Auch stimmte meine km-Angabe auf der Uhr nicht mehr mit den ausgeschilderten Kilometern überein. Ich war immer 700 Meter weiter laut meiner Uhr - was sind schon 700 Meter - aber das nervte mich zu diesem Zeitpunkt doch ganz gewaltig, weil jeder Meter einfach nur noch weh tat...!!! Es waren wohl die längsten 10km die ich je gelaufen bin und das auf einer ganz flachen Strecke....wenigsten verschafften die 2 letzten Verpflegungsposten etwas Abwechslung und auch die Zuschauer wurden etwas mehr und wir Läufer bekamen viel guten Zuspruch. So wollte ich die letzten km noch geniessen. Das wiederum ist mir sehr schwer gefallen, weil ich eigentlich nur noch ins Ziel wollte und nicht mehr laufen müssen und doch, dann war schon wieder alles vorbei.... Und dann sah ich meine beiden super Betreuer und es gab kein Halten mehr. Ca. 300 Meter vor dem Ziel standen Alisha und Rainer und meine Tränen rannen übers Gesicht. Ich habe es geschafft!!!!! Alisha ist noch ein paar Meter bis zum Einlaufkanal mit mir gelaufen und dann durfte ich meinen Triumph ganz alleine auskosten. Was für Gefühle, nicht zu beschreiben.

Im Ziel warteten die Zwei dann wieder und ich bin ihnen um den Hals gefallen und habe geschluchzt wie ein Schlosshund ;-). Ich glaube, so erlösend, triumphierend und befriedigend war noch kein Zieleinlauf gewesen. Obwohl mein erster K78 und natürlich der Powerman in Zofingen gaaaanz nah dran sind!

Im Ziel habe ich dann auch noch Matthias angetroffen, er war auch zum ersten Mal in Biel am Start. Leider musste er nach 37km wegen Schmerzen im Knie und Unterkühlung aufgeben. Ich hätte ihm seinen ersten Zieleinlauf in Biel von Herzen gegönnt!!!

Nun gings zur Garderobe und unter die wohlverdiente heisse Dusche. Als ich meine Socken auszog, sah ich was meinen Zeh beschäftigt hat - eine blutunterlaufene Blase hat sich gebildet und tut ziemlich weh. Nach der Dusche fühlte ich mich wieder etwas besser. Im Festzelt waren Gabriele, Ricarda, Wendy, Frank, Christoph und Vreni aber in dem Moment wollte ich einfach nur heim und meine Beine ausstrecken. Im Nachhinein wäre ich doch gerne noch etwas mit ihnen zusammengesessen..... Das nächste Mal wieder :-).

Nachdem wir in Frick angekommen waren, mussten wir noch rasch den Wochenendeinkauf erledigen, sonst gibts nichts zu Essen....ich glaube die Menschen im Coop haben sich zu meinem komischen Gang so ihre Gedanken gemacht! Endlich dann daheim, ein Nickerchen auf dem Sofa und der Kopf war wieder klarer. Aber die Beine wurden/werden immer "schlimmer" - wie heisst es doch so treffend "der Schmerz vergeht, der Stolz bleibt"!!! ....ich hoffe, es ist bald soweit :-)

An dieser Stelle ein riesengrosses Danke an meine Familie, speziell an meinen Rainer, Ihr habt in den vergangenen Monaten viel von mir Ertragen müssen und Rainer Du hast auch viel Zeit in meinen Trainingsplan investiert und mir immer wieder neue Trainingsstrecken rausgesucht. DANKE, auch für Euch habe ich in Biel gefinished.